Philosophenkönig

Was ist eigentlich ein Paradigma?

Dass wir heute überhaupt in der Lage sind, die Philosophie in ein ontologisches, ein mentalistisches und ein sprachliches Paradigma einzuteilen (siehe dazu den separaten Exkurs), verdanken wir ausgerechnet einem Physiker: dem amerikanischen Wissenschaftshistoriker Thomas S. KUHN (1922-1996). In seinem mittlerweile weltberühmten Essay Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen führte KUHN den Paradigmenbegriff 1962 in die intellektuelle und akademische Diskussion ein – und seither ist die Kontroverse darüber, was es mit der paradigmatischen Perspektive auf sich hat und ob diese überhaupt sinnvoll ist, nicht mehr abgerissen. Dabei wird die Bedeutung, die KUHNS Argumentation in der Philosophie und weit darüber hinaus zukommt, schnell deutlich, wenn man sie kurz mit der eines anderen Historikers vergleicht: dem englischen Naturforscher Charles DARWIN (1809-1882).

1. Parallelen zu DARWIN

DARWIN hatte in der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht so sehr – wie noch immer oft vermutet wird – durch die These Aufsehen erregt, der Mensch stamme vom Affen ab, sondern in seinem 1859 erschienenen Hauptwerk Die Entstehung der Arten vielmehr einen gemeinsamen Urahnen beider angenommen. Auch das hätte man sich auf Seiten der Kreationisten (also den Vertretern der Schöpfungsidee) wahrscheinlich sogar zähneknirschend gefallen lassen, wenn DARWIN wenigstens eine aufsteigende Linie durch die Entwicklungsgeschichte gezogen hätte – mit dem Menschen als Krone der Schöpfung. Anders gesagt: DARWIN hätte die Geschichte der Arten als Fortschrittsgeschichte erzählen müssen. Aber genau das tat er nicht, weder beim Menschen noch bei sonst einem Lebewesen. Er erklärte vielmehr, dass der Wechsel von einer Art zur nächsten durch zufällig eintretende Mutationen zustande käme. Eine neue Art ist also an sich nicht besser oder schlechter als die alte – sie ist einfach nur anders. Das bedeutet zunächst einmal, dass man die Abfolge der Arten in der Geschichte nicht mehr automatisch als fortschrittliche Entwicklung deuten kann, denn eine Mutation muss eben nicht zwingend zu einer Verbesserung führen, schon gar nicht in jeder Hinsicht.

Aber auch damit hat man das Besondere – und Skandalöse – von DARWINS Theorie immer noch nicht voll erfasst. Denn dass es mit der Welt und ihren Lebewesen nicht unbedingt jeden Tag ein weiteres Stück bergauf geht, hatten vorher schon Andere erkannt und geschrieben. (PLATON schildert die Entwicklung der Welt sogar als eine der beständigen Degeneration, weil sie sich vom Ideal der Ideen immer weiter entferne.) Zu behaupten, die Evolution gehe in Mutationsschritten vor sich, ist genau genommen allerdings wesentlich mehr, als die bloße Negierung einer fortschrittlichen Entwicklung – es ist die Negierung jeglicher Entwicklung! Was vor und was nach einer Mutation liegt, ist durch keinen Bezug auf irgend etwas Drittes miteinander zu vergleichen, folglich besteht auch kein wie auch immer gearteter Bezugspunkt zwischen ihnen (und allen weiteren Mutationsschritten), der es erlauben würde, von einer Entwicklung zu sprechen. Die einzelnen Zustände stehen unverbunden nebeneinander, eine übergeordnete Struktur ist selbst im Nachhinein nicht zu erkennen.

Für DARWIN liegt also in dem, was sich in der Natur abspielt, keinerlei Entwicklungsmuster und folglich auch kein Sinn – und das ist der eigentliche Bruch mit der Tradition. Nicht nur, dass die Reise nicht mit Sicherheit in die richtige Richtung geht. Nicht nur, dass wir noch nicht einmal sagen können, in welcher Richtung wir überhaupt unterwegs sind. Sondern es kann überhaupt nicht sinnvoll von einer Reise, also einer zielgerichteten bzw. (von telos, griech. für Ziel) teleologischen Bewegung gesprochen werden, weil es keine übergeordneten Bezugspunkte gibt, die das ermöglichen würden. NIETZSCHE wird diesen Gedanken nur wenige Jahre später dankbar aufgreifen, und auch KUHN selbst hebt seine Bedeutung im Rahmen von DARWINS Argumentation hervor: "Für viele Menschen war die Verabschiedung dieser teleologischen Form der Evolution das Bedeutungsvollste und am wenigsten Angenehme an DARWINS Anregungen. Sein Buch Die Entstehung der Arten erkannte weder ein von Gott noch ein von der Natur gestecktes Ziel an"1.

Auch es wenn KUNH nicht um die biologische Entwicklung geht, ist er sich in einem Punkt mit DARWIN einig: Beide kritisieren den Glauben an den Fortschritt, und zwar auf einer fundamentalen Ebene. Das heißt, weder DARWIN noch KUHN begnügen sich damit, den Gedanken zurückzuweisen, der Fortschritt sei etwas Wünschenswertes und Gutes. Vielmehr setzen sich beide, jeweils auf ihrem Gebiet, kritisch mit der Frage auseinander, ob es so etwas wie Fortschritt überhaupt gibt bzw. ob unsere Vorstellungen vom Fortschritt der Wirklichkeit angemessen sind. So vermutet KUHN in diesem Zusammenhang, "dass der wissenschaftliche Fortschritt nicht ganz dem entspricht, wofür wir ihn gehalten haben"2. Dabei ist im Folgenden natürlich nun zunächst einmal die Frage zu beantworten, was unter Fortschritt in der Wissenschaft zu verstehen ist.

2. Fortschritt in der Wissenschaft

So, wie wir den Zustand der Natur und ihrer Bereiche durch die Angabe der jeweils existierenden Arten zu beschreiben versuchen, stellen wir die Wissenschaft und ihre einzelnen Disziplinen (etwa die Philosophie) durch die darin vertretenen Theorien dar3. Diese sind also sozusagen die Sammelstellen des Wissens und der Erkenntnisse, auf die wir Bezug nehmen, wenn wir uns über die Wissenschaft unterhalten. Das Bild, das man sich vor Kuhn über diese Theorien und vor allem ihr Verhältnis zueinander in der Wissenschaft gemacht hat, lässt sich an einer Aussage des Naturforschers Isaac NEWTON verdeutlichen, der bis heute als einer der größten Wissenschaftler aller Zeiten gilt. Schon über zehn Jahre vor der Veröffentlichung seines bahnbrechenden Werks Philosophiae Naturalis Principia Mathematica von 1687, in dem er so bedeutende Konzepte wie die Fernwirkung einführte, schreibt Newton in einem Brief bescheiden, wenn es tatsächlich so sein sollte, dass er als Physiker weiter gesehen habe als andere vor ihm, dann läge das vor allem an einem: Dass er auf den Schultern von Riesen gestanden sei. NEWTON stellt seine eigenen wissenschaftlichen Erkenntnisse damit also als auf anderen Theorien aufbauend dar und insofern erscheint NEWTONS Theorie einfach als bruchlose Fortsetzung der Theorien vor ihr. Sie stellt, mit anderen Worten, ihnen gegenüber – wenn auch dank ihnen – einen Fortschritt dar. Diese Vorstellung des Verhältnisses von Theorien zueinander bezeichnet man auch als kumulativen Wissensbegriff. Das heißt, über die Zeit hinweg sammelt sich in der Wissenschaft und ihren Theorien immer mehr Wissen an (das bedeutet "kumulieren") und auch wenn nicht alle paar Monate ein neuer NEWTON auftaucht, zeigt die Wissenskurve stetig nach oben, weil wir ja immer von dem profitieren können, was andere vor uns erarbeitet haben. Genau das ist also mit der Vorstellung des Fortschritts in der Wissenschaft gemeint – und damit auch das, wogegen sich KUHN wendet, denn er sieht "Anlass zu tiefgehendem Zweifel an dem kumulativen Prozess, von dem man glaubte, er habe die einzelnen Beiträge zur Wissenschaft zusammengefügt"4.

3. Normale und revolutionäre Wissenschaft

Es gehört nun zu den beeindruckenden, aber andererseits auch nicht ganz einfach zu verstehenden Aspekten von KUHNS Argumentation, dass er nicht versucht, die Bedeutung von Wissenschaftlern wie NEWTON grundsätzlich zu leugnen. Er stellt vielmehr zunächst einen neuen begrifflichen Rahmen zur Verfügung, innerhalb dessen sich das, was in der Wissenschaft geschieht, einordnen und verstehen lässt: Die Unterscheidung von normaler und revolutionärer Wissenschaft. Hinter dieser Unterscheidung steht nun wiederum - sozusagen als Verbindungsstück zwischen diesen beiden Arten von Wissenschaft - das Konzept des Paradigmas. Es spielt also sowohl für das Verständnis der normalen als auch der revolutionären Wissenschaft eine zentrale Rolle und die ganze Bedeutung des Paradigmenbegriffs erschließt sich letztlich auch erst vor dem Hintergrund beider Wissenschaftsformen. Im Anschluss daran kann dann auch die Frage untersucht werden, welche Bedeutung die paradigmatische Perspektive für die Philosophie hat.

3.1. Normalwissenschaft und die Anwendung von Paradigmen

Dass der Aspekt des Paradigmas im normalen Wissenschaftsbetrieb nicht zur Sprache kommt, hat eine einfache Erklärung: Er gehört, wie gerade angedeutet, zum methodischen Hintergrund von Wissenschaften - und über den wissen, wie KUHN in überraschender Deutlichkeit anmerkt, die beteiligten Forscher zumeist wenig oder gar nichts:

Obwohl viele Wissenschaftler leicht und gut über die einzelnen Hypothesen sprechen, die einem konkreten Teil der laufenden Forschung zugrundeliegen, sind sie dorch nur wenig besser als Laien, wenn es um die Charakterisierung der feststehenden Grundlagen ihres Gebiets, seiner legitimen Probleme und Methoden geht.5

Etwas technischer ausgedrückt: Wissenschaftler setzen sich zumeist ausschließlich mit der Theorieebene ihrer jeweiligen Disziplin auseinander, während sie die Metaebene nicht ausdrücklich zum Thema machen6. Nun sind Paradigmen aber gerade metastufige Aspekte der Wissenschaft, sie sind Träger dessen, was man als wissenschaftliches Weltbild bezeichnen könnte. Ein Paradigma beantwortet für eine Wissenschaft all die grundlegenden Fragen, die sich Wissenschaftler zumeist nicht stellen, weil sie an konkreten Problemstellungen interessiert sind - die aber auf die eine oder andere Art und Weise bereits beantwortet sein müssen, um sich solche konkreten Fragen überhaupt stellen zu können. In KUHNS Worten:

Eine wirksame Forschungsarbeit beginnt selten, bevor eine wissenschaftliche Gemeinschaft überzeugt ist, auf Fragen wie die folgenden gesichterte Antworten zu haben: Welches sind die Grundbausteine des Universums? Wie wirken sie aufeinander und auf die Sinne ein? Welche Fragen können sinnvoll über diese Bausteine gestellt und welche Methoden bei der Suche nach Lösungen angewandt werden?7

Die Gesamtheit dieser grundlegenden, weltbildprägenden Annahmen machen also das Paradigma einer Wissenschaft aus. Und man braucht oben anstatt eine wissenschaftliche Gemeinschaft nur Philosophen einzusetzen, um anhand der grundlegenden Frage nach dem Ort der Wahrheit unsere Disziplin anhand ihrer verschiedenen Paradigmen zu unterteilen: die Welt - ontologisches Paradigma, das Denken - mentalistisches Paradigma oder die Sprache - linguistisches Paradigma.

Auch wenn die Mitglieder einer wissenschaftlichen Gemeinschaft im Rahmen ihrer täglichen Forschungsarbeit ihr jeweiliges Paradigma, also ihre ganz grundsätzlichen Vorstellungen, nicht ausdrücklich artikulieren, so findet diese Arbeit dennoch stets auf der Basis eines solchen Paradigmas statt. Letzteres stellt für sie also, Kantisch gesprochen, eine Bedingung der Möglichkeit dar. Und eben diesen Vorgang, das unausgesprochene Anwenden eines Paradigmas auf unterschiedliche Frage- und Problemstellungen, bezeichnet KUHN als Phase der normalen Wissenschaft. Das Paradigma wird im Rahmen der normalen Wissenschaft also nicht thematisch, es wird ausschließlich angewandt - und zwar, wie KUHN formuliert, auf sich im Verlauf des Forschungsprozesses ergebende Rätsel, also Frage- und Problemstellungen, die sich auf die Beschreibung, Erklärung, Prognostizierung oder technische Beinflussbarmachung der Welt beziehen. Es geht in dieser Phase der Wissenschaft ausschließlich darum, solche Rätsel zu lösen und nicht etwa darum, das dabei angewandte Paradigma zu testen. Dieses wird während der normalen Wissenschaft nicht thematisiert, geschweige denn kritisiert:

Soweit sich der Forscher mit normaler Wissenschaft befasst, ist er ein Rätsellöser, kein Paradigmaprüfer. [...] Er ist [...] einem Schachspieler vergleichbar, der, vor ein Problem gestellt und das Schachbrett physisch oder geistig vor Augen, bei der Suche nach einer Lösung verschiedene mögliche Züge ausprobiert. Diese Versuche, sei es bei einem Schachspieler oder bei einem Wissenschaftler, sollen nicht die Spielregeln auf die Probe stellen.8

Während solcher Phasen der normalen Wissenschaft, die darin bestehen, dass eine wissenschaftliche Gemeinschaft versucht, auf der Basis eines Paradigmas verschiedene Frage- und Problemstellungen zu behandeln (in KUHNS Worten: Rätsel zu lösen), wird das Paradigma selbst also nie thematisiert. Es bleibt im Hintergrund.

Es gehört nun zu den oben angesprochenen Komplexitäten von KUHNS Argumentation, dass er dieser Phase ausdrücklich zugesteht, ein Mehr an Wissen zu erbringen, also im Rahmen der Wissenschaft Fortschritt zu ermöglichen, insofern die "[n]ormale Forschung [...] kumulativ ist"9. Das gilt, so lange ein Paradigma, also das wissenschaftliche Weltbild einer Forschergemeinschaft, stabil bleibt. Anders gesagt: Wissenschaftlicher Fortschritt ist nach KUHN immer relativ auf ein bestimmtes Paradigma und daher auch immer nur im Rahmen eines bestimmten Paradigmas möglich. KUHN verneint die Möglichkeit von Fortschritt also nicht grundsätzlich, er schränkt sie aber auf die jeweiligen paradigmatischen Grenzen ein.

Die Grundsätzlichkeit eines Paradigmas als wissenschaftlichem Weltbild bringt es innerhalb der normalen Wissenschaft mit sich, dass es nicht nur, wie erwähnt, die Kriterien dafür beinhaltet, was eine relevante Fragestellung ist oder aber eine angemessene Methode zu ihrer Beantwortung. Ein Paradigma entscheidet vielmehr auch darüber, nach welchen Gesichtspunkten diese Methoden hinsichtlich ihres Erfolges oder Misserfolges in Bezug auf diese Fragestellungen beurteilt werden. Anders gesagt: Paradigmen entscheiden darüber, welche Daten aus wissenschaftlicher Perspektive überhaupt zur Kenntnis genommen werden und welche nicht! - Das heißt, "[s]ie schränken das Gebiet der Erscheinungen, das für die wissenschaftliche Forschung zu einem gegebenen Zeitpunkt zugänglich ist, zwangsläufig ein"10. Eine solche Selektion führt zwar einerseits "zu einer immensen Beschränkung des Gesichtskreises der betreffenden Wissenschaftler"11, sie stabilisiert aber andererseits das, was den Forschern von Seiten der Welt entgegenkommen kann, enorm. Und da sich eine wissenschaftliche Gemeinschaft über die Akzeptanz eines bestimmten Paradigmas definiert, treten dort folglich "selten offene Meinungsverschiedenheiten über Grundprinzipien"12 auf.

Wissenschaftstheoretisch brisant ist nun vor allem die Tatsache, dass ein Paradigma, dass ja, wie gerade erläutert, selbst darüber entscheidet, welche Daten relevant sind und welche nicht, an solchen Daten natürlich demzufolge auch nicht scheitern kann. Diese Folgerung ist nun vor allem deshalb wichtig, weil sie einer anderen, im 20. Jahrhunder vor allem von Karl Raimund POPPER prominent vorgetragenen methodischen Forderung direkt widerspricht: der nach Falsifizierbarkeit, also genau der Widerlegbarkeit durch empirische Daten, die ein Paradigma nicht aufweist. KUHN richtet seine Argumentation denn auch "gegen eine bestimmte einflussreiche Erkenntnistheorie"13 und führt dazu die historischen Tatsachen ins Feld:

[W]enn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat, wird sie nur dann für ungültig erklärt, wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist, der ihren Platz einnehmen kann. Kein bisher durch das historische Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozess hat irgendeine Ähnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Natur.14

Das einzige, was einem Paradigma gefährlich werden kann, ist also ein anderes Paradigma, nicht etwa empirische Daten. Diesen gegenüber ist es, wissenschaftstheoretisch ausgedrückt, immunisiert.

Dann aber stellt sich die Frage, warum Paradigmen nicht ewig ihren Platz behalten und es in der Wissenschaftsgeschichte regelmäßig, wenn auch in großen Abständen, zu sogenannten Paradigmenwechseln kommt. Dieses Phänomen sprengt nun die Grenzen der normalen Wissenschaft, Paradigmenwechsel sind vielmehr eng verbunden mit der anderen Phase, der revolutionären Wissenschaft.

3.2. Revolutionäre Wissenschaft und Paradigmenwechsel

Der entscheidende Begriff an der Schwelle von normaler zu revolutionärer Wissenschaft ist der der Anomalie. Dabei handelt es sich im Anschluss an das gerade Gesagte nicht etwa um widerlegende Daten, sondern vielmehr um ein Rätsel (also eine Frage- oder Problemstellung), das mit den Mitteln eines bestimmten Paradigmas nicht gelöst werden kann und dieses so in eine Krise stürzt. Und so wie die gelösten Rätsel immer nur vor dem Hintergrund eines bestimmten Paradigmas als gelöst gelten, ergeben auch Anomalien erst in Bezug auf ein bestimmtes Paradigma Sinn: "Eine Anomalie stellt sich nur vor dem durch das Paradigma gelieferten Hintergrund ein"15.

Die von KUHN geschilderte Reaktion der wissenschaftlichen Gemeinschaft auf diese Situation hat ihm von Anfang an vehemente Kritik eingetragen. Denn für den Fall, dass einem von Anomalien geplagten Paradigma eine Konkurrenztheorie gegenübersteht und sich die Mitglieder einer wissenschaftlichen Gemeinschaft für einen der Kandidaten entscheiden müssen (da sich Paradigmen, wie etwa die geozentrische und die heliozentrische Astronomie, zumeist gegenseitig ausschließen), dann tun sie dies, so KUHN, nicht aufgrund rationaler Kriterien. Vielmehr gilt: "Eine Entscheidung dieser Art kann nur aufgrund eines Glaubens getroffen werden"16. Diese Behauptung ist vor dem Hintergrund des bislang zu KUHNS Ansatz Gesagten durchaus konsequent. Denn da jedes Paradigma buchstäblich seine eigenen Daten macht, kann es an diesen auch nie scheitern. Eine rationale Entscheidung für oder gegen ein Paradigma würde aber genau diese Möglichkeit voraussetzen17. Aus Sicht der Wissenschaft ist diese Tatsache aber alles andere als schmeichelhaft. Denn dass ausgerechnet dort, im Hort der Rationalität, wo doch angeblich nur die Vernunft regiert und Religion und Mythos der Vergangenheit angehören, die grundsätzliche Frage über die Entscheidung für ein Paradigma auf der Basis des Glaubens gefällt wird, passt so gar nicht zum Selbstverständnis der heutigen Akademiker. Den Vorwurf, er schildere die Wissenschaft als etwas zutiefst Irrationales, musste sich Kuhn daher von vielen Seiten anhören.

Gerade weil seine Schilderung des Übergangs von einem Paradigma zu einem anderen - also genau das, was er als wissenschaftliche Revolution bezeichnet - aber nicht isoliert im Raum steht, sondern aus seiner vorhergehenden Argumentation direkt folgt, ließ sich KUHN in diesem Punkt nicht beirren. Vielmehr schildert er die Phase, in der sich manche Mitlieder der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu einem neuen Paradigma orientieren, in Worten, die tatsächlich eher an ein religiöses Erweckungserlebnis erinnern als an eine wissenschaftliche Neuorientierung:

Etwas muss wenigstens einigen Wissenschaftlern das Gefühl geben, dass der neue Gedanke [also das neue Paradigma] auf dem richtigen Wege ist, und manchmal sind es nur persönliche und unartikulierte ästhetische Erwägungen, die das tun können. Manch einer ist durch sie zu einer Zeit bekehrt worden, da die meisten der technischen Argumente [...] in eine andere Richtung wiesen.18

Die Entscheidung mancher Wissenschaftler für ein neues Paradigma fällt laut KUHN also aus irrationalen Gründen. Doch damit hören die Probleme nicht etwa auf - im Gegenteil. Denn da es sich bei einem Paradigma eben nicht lediglich um eine weitere Theorie handelt, sondern vielmehr ein wissenschaftliches Weltbild, entfernt jeder Paradigmenwechsel die daran Beteiligten unendlich weit vom Rest der wissenschaftlichen Gemeinschaft. KUHNS Formulierung, "dass der Wissenschaftler mit einem neuen Paradima anders sieht, als er vorher zu sehen pflegte"19, ist in dieser Hinsicht noch zurückhaltend. An vielen anderen Stellen wird Kuhn deutlicher: "Wenn auch die Welt mit dem Wechseln eines Paradigmas nicht wechselt, so arbeitet doch der Wissenschaftler danach in einer anderen Welt"20. Und da folglich die wissenschaftliche Gemeinschaft in Gruppen von Forschern zerfällt, die jeweils "in verschiedenen Welten arbeiten"21, wird ein sinnvoller akademischer Diskurs, zumindest über die Grundlagen der Disziplin, unmöglich: "Der Wettstreit zwischen Paradigmata kann nicht durch Beweise entschieden werden" 22. Und da Vertreter verschiedener Paradigmen folglich "zwangsläufig aneinander vorbeireden"23, kommen an dieser Stelle Überzeugungsmittel wie Propaganda ins Spiel - "bis dann, nachdem die letzten Widerstandleistenden gestorben sind, die gesamte Fachwissenschaft wieder unter einem einzigen, allerdings nunmehr anderen Paradigma arbeitet"24. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, um sich vorzustellen, dass auch diese Punkte von vielen von KUHNS Lesern sehr pikiert zur Kenntnis genommen wurden und werden.

KUHN verwendet viel Mühe darauf, die Metapher von einer anderen Welt, in der sich ein Teil der wissenschaftlichen Gemeinschaft nach einem Paradigmenwechsel befindet, verständlich zu machen.

Kuhn benutzt dieses Kippbild des US-Psychologen Joseph Jastrow, um die schlagartige Änderung der Perspektive zu veranschaulichen, die sich im Anschluss an einen Paradigmenwechsel einstellt.

So schildert er diesen Vorgang etwa psychologisch als "fast wie bei einem Gestaltwandel"25, vor allem aber bringt er sogenannte Kippbilder wie das hier gezeigte ins Spiel, die sich zwar nicht verändern, aber eben auf völlig verschiedene Arten gesehen werden können - "einmal als Ente und einmal als Kaninchen"26. Der Wechsel von der einen zur anderen Sichtweise erfolgt - das ist der Punkt - schlagartig und ohne Übergang, und beide Sichtweisen der selben empirischen Daten sind auch nicht miteinander vereinbar. In ähnlicher Weise stehen sich, so KUHN, verschiedene Paradigmen gegenüber, die zwar auch die selben empirischen Daten interpretieren, dies aber auf so unterschiedliche Art und Weise tun, dass sich letztlich keine Brücke mehr zwischen ihnen schlagen lässt und beide völlig unverbunden nebeneinander her bestehen.

Dass Fehlen jeglicher Verbindungsmöglichkeiten unterschiedlicher Paradigmen belegt KUHN dabei mit einem eigenen Begriff: dem der Inkommensurabilität. Wenn Kuhn in diesem Zusammenhang von der "Inkommensurabilität der vor- und nachrevolutionären normal-wissenschaftlichen Traditionen"27 spricht, geht diese über die bloße Unvereinbarkeit sogar noch hinaus. Das bedeutet, dass zwei verschiedene Paradigmen nicht nur keine Ansatzpunkte für eine Vereinheitlichung bieten, sondern, dass nicht einmal ein Vergleich möglich ist. Es fehlt das, was lateinisch als tertium comparationis bezeichnet wird, also ein dritter, unabhängiger Vergleichstandpunkt, von dem aus zwei Dinge zueinander ins Verhältnis gesetzt werden können28. Damit schließt sich auch der Kreis zur Thematik des Fortschritts, denn die These von der Inkommensurabilität der Paradigmen hat direkte Auswirkungen auf die Frage, ob im Rahmen der Wissenschaft über die Zeit hinweg sinnvoll von einer Entwicklung gesprochen werden kann - und das hat vor allem für eine jahrtausendealte Disziplin wie die Philosophie grundsätzliche Bedeutung.

4. Inkommensurabilität und Forschritt

Wie oben im Abschnitt über die Phase der Normalwissenschaft erläutert, lehnt KUHN das Konzept des Fortschritts nicht grundsätzlich ab. Vielmehr gesteht er der Wissenschaft eine Entwicklung hin zum Besseren und zum kumulativen Mehr an Wissen im Rahmen von Paradigmen durchaus zu. Das aber gilt aufgrund der Inkommensurabilität nicht über den Wechsel von Paradigmen hinweg. Wenn KUHN daher betont, "dass hier als Revolutionen jene nichtkumulativen Entwicklungsepisoden angesehen werden, in denen ein älteres Paradigma ganz oder teilweise durch ein nicht mit ihm vereinbares neues ersetzt wird"29, dann wird deutlich, dass von einer Entwicklung in Bezug auf die Wissenschaft insgesamt nicht mehr gesprochen werden kann. Wir befinden uns nach einem Paradigmenwechsel, also nach jeder wissenschaftlichen Revolution, in einer anderen Welt. Und um zu beurteilen, ob diese besser oder schlechter ist, als die alte, würden wir einen äußeren, paradigmen-unabhängigen Standpunkt benötigen - also genau das, was wir nicht besitzen.

Über Paradigmenwechsel hinweg kann folglich nicht von wissenschaftlichem Fortschritt gesprochen werden - wenn Kuhn daher in Bezug auf seine Argumentation von "der hier entwickelten evolutionären Anschauung von der Wissenschaft"30 spricht, dann ist diese Anspielung auf die Theorie Charles DARWINS ohne Zweifel gerechtfertigt. Gerade diese Parallele erklärt aber eben auch die Brisanz von Kuhns Ansatz - was könnte es Brisanteres geben, als der Wissenschaft den Fortschritt abzusprechen? - und damit auch, warum Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen fast 50 Jahre nach ihrer Veröffentlichung noch immer eines der meistdiskutierten wissenschaftlichen Werke ist. Dabei können die mittlerweile unzähligen Diskussionslinien hier nicht auch nur im Ansatz aufgearbeitet werden. Allerdings ergibt sich aus einem von KUHN selbst thematisierten Aspekt eine direkte Verbindung zu einer auch philosophisch wichtigen Fragestellung.

5. Relativismus und Selbstbezug

Von ihrer allgemeinen Struktur her verstanden, fällt KUHNS Argumentation in den Bereich des Relativismus - auch wenn er selbst (vor allem unter dem Eindruck vehementer Kritik) diese Beschreibung von sich weist31. Wissenschaftlichen Fortschritt auf jeweilige Paradigmen zu relativieren, ist dabei zwar Kuhns eigenständige Leistung, wie er selbst erwähnt, ist er dabei aber vor allem von Ludwik FLECKS (1896-1961) wichtigem Werk Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache (1935) beeinflusst worden - "eine Arbeit, die viele meiner eigenen Gedanken vorwegnimmt"32. Aber auch andere Vorläufer sind nicht schwer auszumachen, so etwa Oswald SPENGLERS (1880-1936) zweibändiges Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes (1918/1922), in dem sämtliche sozialen und zivilisatorischen (also auch wissenschaftlichen) Phänomene auf eine jeweilige Kultur bezogen und somit relativiert werden33.

Der konzeptuelle Rahmen, den all diese Ansätze jeweils zur Beschreibung und zum Verständnis der Vorgänge in der Welt - oder eben Teilen davon, wie der Wissenschaft - zur Verfügung stellen, lässt aber auch die Frage aufkommen, ob und wie sie jeweils ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden. Mit anderen, allgemeineren Worten: Was geschieht, wenn ein relativistischer Ansatz auf sich selbst bezogen wird?34. Wenn zum Beispiel für SPENGLER alles auf eine jeweilige Kultur zu beziehen ist - dann müsste das ja auch für diese Theorie selbst gelten. Sie wäre also selbst nur relativ auf eine bestimmte Kultur gültig - und ihre kulturübergreifenden Behauptungen damit nach ihren eigenen Maßstäben inhaltslos. Ersetzt man nun 'Kultur' durch 'Paradigma', so stellt sich die selbe Frage auch an KUHNS Ansatz. Wenn alles in der Wissenschaft immer nur vor dem Hintergrund eines Paradigmas geschieht - wie sollte KUHN es dann schaffen, einen paradigmenübergreifenden Standpunkt einzunehmen, der für seine Thesen - etwa die der Inkommensurabilität - zwingend erforderlich ist?

Weder KUHN noch seine wissenschaftshistorischen Nachfolger haben solche Fragen bis heute beantworten können, was wohl einer der Gründe dafür ist, dass über das Thema der paradigmatischen Verfasstheit der Wissenschaft noch immer diskutiert wird. Im folgenden Abschnitt soll es nun abschließend darum gehen, zu klären, welche Bedeutung KUHNS Argumentation für die Philosophie hat. Abgesehen davon, dass, wie eingangs erwähnt, die Unterteilung unserer Disziplin in ein ontologisches, ein mentalistisches und ein linguistisches Paradigma dadurch erst möglich geworden ist und die philosophische Teildisziplin der Wissenschaftstheorie darüber hinaus natürlich regelmäßig mit diesem Thema befasst ist, bietet Kuhns Ansatz auch einen Anknüpfungspunkt für ein weiteres, in der Philosophie bis heute nicht gelöstes Problem.

6. Die thematische Kontinuität der Philosophie

Wann immer sich die Philosophie gegenüber anderen Wissenschaften (etwa den Naturwissenschaften) positionieren muss, fehlt selten der Hinweis darauf, dass man es ja im Unterschied zu den geschätzten Kollegen mittlerweile auf mehrere tausend Jahre an kollektiver Erfahrung gebracht habe - und falls man als Gründervater der Philosophie nicht SOKRATES, sondern etwa THALES VON MILET ins Spiel bringt, sogar noch ein paar Jahrhunderte mehr. Aus dieser historischen wird dann nicht selten auch gleich noch eine systematische, also inhaltliche Überlegenheit abgeleitet, etwa in Form von Martin HEIDEGGERS frecher Behauptung: "Die Wissenschaft denkt nicht"35.

Was immer zu solchen Anwandlungen sonst noch zu sagen wäre - sie basieren in jedem Fall auf einer ganz bestimmten Annahme: Der der thematischen Kontinuität der Philosophie. Nur dann, wenn vorausgesetzt werden kann, dass - in WITTGENSTEINS Worten - "die Fragen, wie wir diskutieren, die selben Fragen sind, die PLATON diskutierte"36, hat die Behauptung der Philosophie als über die Jahrtausende gewachsen irgend einen Sinn. Die Frage ist: Kann eine solche Voraussetzung tatsächlich angenommen werden?

Zwar kann Thomas S. KUHN diese Frage auch nicht endgültig beantworten, schon gar nicht in Bezug auf die Philosophie. Allerdings gibt er einige wichtige Hinweise in dieser Sache, die vor allem erklären, wie der Eindruck der Kontinuität überhaupt entstehen kann. So erscheint es ihm besonders bemerkenswert, dass in Lehrbüchern unterschiedlichster Disziplinen zumeist der Eindruck erweckt wird, die entsprechende Wissenschaft habe sich über einen langen Zeitraum ohne größere Brüche bis in die Gegenwart hinein entwickelt. KUHN erklärt diesen Sachverhalt folgendermaßen:

Da [...] Lehrbücher pädagogische Vehikel für das Fortbestehen der normalen Wissenschaft sind, müssen sie [...] im Gefolge jeder wissenschaftlichen Revolution neu geschrieben werden, und wenn sie geschrieben sind, verschleiern sie zwangsläufig nicht nur die Rolle der Revolution, sondern sogar deren Existenz.37

Durch diese Art der Geschichtsschreibung, so Kuhn weiter, "erhalten Studierende und Fachleute das Gefühl, sie nähmen Teil an einer beständigen historischen Tradition"38. Da dieses Gefühl ja aber nur auf der Grundlage des gezielten Weglassens der revolutionären Brüche einer Disziplin entstehen kann, ist es in Wahrheit trügerisch - hat doch "die vom Lehrbuch suggerierte Tradition, an der die Wissenschaftler teilzunehmen glauben, tatsächlich niemals existiert"39. Mehr und mehr rückt KUHN damit an die hier im Mittelpunkt stehende Frage nach der Kontinuität der Philosophie heran, um sie dann im folgenden Satz aus seiner Perspektive zu beantworten:

Teils durch Auslese und teils durch Verzerrung werden die Wissenschaftler früherer Zeitalter ausdrücklich so dargestellt, als hätten sie an der gleichen Reihe fixierter Probleme und in Übereinstimmung mit der gleichen Reihe fixierter Kanons gearbeitet, welchen die letzte Revolution in der wissenschaftlichen Theorie und Methode den Stempel der Wissenschaftlichkeit aufgedrängt hat.40

KUHNS Argumentation auch in Bezug auf unsere Disziplin ernst zu nehmen, hieße also in letzter Konsequenz, wie etwa der US-amerikanische Philosoph Richard RORTY betont, "die Geschichte der Philosophie nicht als Abfolge alternativer Lösungsversuche derselben Probleme zu betrachten, sondern als Abfolge ganz unterschiedlicher Problematiken"41. Anders gesagt: Wenn jeder Paradigmenwechsel tatsächlich einen Neuanfang einer Wissenschaft markiert und man die letzte Revolution mit WITTGENSTEINS Satz Alle Philosophie ist Sprachkritik aus seinem Tractatus Logico-Philosophicus (1921), also dem Übergang zum Sprachparadigma, eingeläutet sieht - dann feiert unsere Disziplin in ein paar Jahren ihren hundertsten Geburtstag.




Literaturhinweise und Anmerkungen

1 KUHN, Thomas S. Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt, Suhrkamp, 111991, S. 183.
2 Ebd., S. 182.
3 Dabei ist wahlweise auch von Hypothesen, Modellen oder Ansätzen die Rede, in der Philosophie oft auch von Theorie- oder Lehrstücken.
4 Ebd., 17, Vgl. auch ebd., S. 108: "Wer historische Tatsachen erst nimmt, muss den Verdacht haben, dass die Wissenschaft nicht zu dem Ideal tendiert, welches uns unsere Vorstellung von ihrem kumulativen Wesen nahegelegt hat. Vielleicht ist sie ein Unternehmen anderer Art".
5 Ebd., S. 61.
6 Vgl. zu dieser Unterscheidung der Argumentationsebenen in Kürze den separaten Exkurs Argumentationen in der Philosophie.
7 Ebd., S. 19.
8 Ebd., S. 155.
9 Ebd., S. 108.
10 Ebd., S. 73.
11 Ebd., S. 77.
12 Ebd., S. 26.
13 Ebd., S. 91.
14 Ebd., S. 90; vgl. auch ebd., S. 173.
15 Ebd., S. 77.
16 Ebd., S. 168 (Hervorhebung nicht im Original).
17 In einer in der Wissenschaftstheorie in diesem Zusammenhang gerne gebrauchten fiktiven Geschichte stehen Claudius PTOLEMÄUS (ca. 100-175 n. Chr., ein Vertreter des geozentrischen Paradigmas, demzufolge sich die Sonne um die Erde dreht) und Nikolaus KOPERNIKUS (1473-1543, der neuzeitliche Schöpfer des heliozentrischen Paradigmas) frühmorgens auf einem Hügel und beobachten den Horizont. Als die Sonne erscheint, sagen beide gleichzeitig: "Siehst Du, ich hatte Recht!". Gemeint ist damit eben, dass jedes Paradigma die empirischen Daten in seine Struktur einfügt und so bestimmt - und diese Daten folglich nicht zur rationalen Entscheidung für das eine oder das andere Paradigma herangezogen werden können.
18 Ebd., S. 168f (Hervorhebungen nicht im Original).
19 Ebd., S. 127.
20 Ebd., S. 133. Einer Bemerkung an anderer Stelle zufolge "können wir wohl sagen, dass die Wissenschaftler nach einer Revolution mit einer anderen Welt zu tun haben" (ebd., S. 123). Vgl. auch ebd.: "Es ist fast, als wäre die Fachgemeinschaft plötzlich auf einen anderen Planeten versetzt worden, wo vertraute Gegenstände in einem neuen Licht erscheinen".
21 Ebd., S. 161.
22 Ebd., S. 159.
23 Ebd., S. 122; vgl. auch ebd., S. 124.
24 Ebd., S. 163.
25 Ebd., S. 129. Laut einer Bemerkung KUHNS an anderer Stelle "ist der Gestaltwandel [...] ein nützliches einfaches Modell dessen, was bei einem vollständigen Paradigmenwechsel geschieht" (ebd., S. 98).
26 Ebd., S. 126. Auch Ludwig WITTGENSTEIN greift in seiner Spätphilosophie im Rahmen seiner Ausführungen zur Thematik des Sehen als zur Erläuterung auf Kippbilder zurück.
27 Ebd., S. 159.
28 Mittels eines sinnvoll ausgewählten tertium comparationis kann dann allerdings alles mit allem verglichen werden, sogar die berühmten Äpfel und Birnen - etwa hinsichtlich Gewicht, Fruchtzuckergehalt, Kalorien etc.
29 Ebd., S. 104 (Hervorhebung nicht im Original).
30 Ebd., S. 185.
31 Vgl. etwa das 1969 geschriebene Postskriptum, ebd., S. 217.
32 Ebd., S. 8.
33 Dabei geht SPENGLER sogar so weit, zu behaupten: "Jede Kultur hat eine eigene Mathematik" (SPENGLER, Oswald. Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. München, Beck, 111999, S. 79). Der vollständige Text beider Bände ist im Internet hier einsehbar.
34 Unabhängig von der Frage des Relativismus ist die Prüfung des Selbstbezugs auch und gerade in der Philosophie eine nicht selten gestellte Aufgabe - und darüber hinaus auch eine, an der Philosophen nicht selten scheitern. Dabei reichen die Beispiele - um hier nur einige wenige zu nennen - von David HUMES Forderung, alle Bücher, die keine Beschreibungen der Welt und keine Mathematik enthalten, zu verbrennen (eine Forderung, die selbst weder beschreibend noch mathematisch ist) über Friedrich NIETZSCHES generelle Leugnung der Existenz der Wahrheit (die demzufolge auch nicht wahr sein kann) bis zu Karl Raimund POPPERS oben erwähntem Wissenschaftlichkeits-Kriterium der Falsifizierbarkeit (das selbst nicht falsifizierbar und, den eigenen Maßstäben entsprechend, damit auch nicht wissenschaftlich ist).
35 HEIDEGGER, Martin. Was heißt Denken? Tübingen, Niemeyer, 41984, S. 4.
36 Zitiert in RHEES, Rush. "Die grundlegenden Probleme der Philosophie", in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 3 (1998), S. 523-532 (hier: S. 523).
37 KUHN, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, S. 148.
38 Ebd., S. 149.
39 Ebd.
40 Ebd.
41 RORTY, Richard. Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie. Frankfurt, Suhrkamp, 1987, S. 9 (Hervorhebungen nicht im Original).